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Dieser Versuch macht nicht klug

  • klages3
  • 22. Sept.
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 24. Sept.

Warum der Volksentscheid für einen Test des Bedingungslosen Grundeinkommens in die Irre führt


Versuch macht klug, heißt es oft. Wir sind gern mal geneigt, auch bei Dingen, die wir skeptisch sehen, zu sagen: Wir können es ja mal ausprobieren, ein Versuch kostet ja nichts.


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Doch bei diesem Test sollten wir das nicht tun. Nicht nur, dass er mit ca. 46 Mio. Euro eine Menge Geld kostet – vor allem ist er völlig sinnlos. Denn das, was er zu testen vorgibt – die flächendeckende Einführung eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“ (BGE) in Deutschland – kann und will er in Wahrheit gar nicht testen.


Denn erstens ist das, was konkret getestet werden soll, gar kein Bedingungsloses Grundeinkommen. Im Testmodell soll das Einkommen der Testpersonen (aus Erwerbsarbeit oder Kapitaleinkünften) gegengerechnet werden. Genau das ist aber nicht „bedingungslos“. Beim Bedingungslosen Grundeinkommen geht es eigentlich gerade darum, es allen Menschen völlig unabhängig von ihrem sonstigen Einkommen in gleicher Höhe zu gewähren, also dem Milliardär genauso wie dem Arbeitslosen ohne jedes Vermögen. Denn genau das meint „bedingungslos“, eben ohne die Bedingung des Vorliegens eines individuellen Bedarfes. Zwar räumen die Initiatoren in der Gesetzesbegründung sogar ein, dass ihr Modell in Wahrheit gar kein bedingungsloses Grundeinkommen ist (und sprechen offiziell nur von „Grundeinkommen“), sie behaupten aber trotzdem weiterhin, damit die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu testen.


Deshalb ist dieser Test – man muss es so deutlich sagen – eine Täuschung, ein Fake. Was hier real getestet wird, also die Zahlung eines existenzsichernden Geldbetrags bei geprüftem Bedarf aufgrund eines (zu) niedrigen Einkommens, ist im Kern nichts anderes als die existierenden Grundsicherungen bei Arbeitslosigkeit (Bürgergeld), im Alter oder bei sog. Erwerbsminderung. Der Unterschied liegt in der Definition der Bedarfe im Detail und im Verzicht auf sonstige Anforderungen (Bemühen um Arbeitsaufnahme, Verwendung von Vermögen u.a.). Das mag im Einzelnen wichtig sein, simuliert aber keinesfalls den grundlegenden Systembruch, den ein wirklich bedingungsloses Grundeinkommen darstellen würde.


Denn es ist, zweitens, etwas völlig anderes, ob man 2.000 Leuten in Hamburg drei Jahre lang pro Monat 1.000 oder 1.500 Euro überweist (wie verrechnet auch immer), aber ansonsten an den Rahmenbedingungen ihres Lebens nichts Grundlegendes ändert, oder ob man so etwas deutschlandweit für alle umsetzt (auch unabhängig von den verschiedenen Varianten, die im Test erprobt werden sollen). Denn eine deutschlandweite Einführung würde unsere Gesellschaft, würde die Rahmenbedingungen unseres Lebens in einem Maße verändern, wie es sich in einem Test unmöglich abbilden lässt. Deshalb kann dieser Test nur in die Irre führen. Er wird (höchstwahrscheinlich) positive Ergebnisse produzieren, die aber mit den realen Bedingungen einer flächendeckenden Einführung absolut nichts zu tun haben.


Im Fokus der Befürworter des BGE (und leider auch der meisten Kritiker) steht die Frage, ob die Menschen noch Lust haben zu arbeiten, wenn sie monatlich einen Geldbetrag vom Staat erhalten, der (wenn auch knapp) zum Leben ausreicht. Doch das ist allenfalls ein Nebenaspekt, denn in Wahrheit wissen wir aus der Sozialforschung und gewerkschaftlichen Praxis schon lange, dass es neben dem Einkommen noch andere wichtige Motivationen zur Arbeit gibt. Viel entscheidender aber ist die Frage, welche Auswirkungen ein BGE auf unser Sozialsystem, unsere Arbeitswelt und unser persönliches Einkommen insgesamt hat.


Denn was die meisten Befürworter (vor allem die linken, im Gegensatz zu den neoliberalen) entweder nicht sehen oder lieber verschweigen, ist: Ein flächendeckendes BGE wäre nur unter der Bedingung machbar, dass es unser bisheriges Sozialsystem vollständig ersetzt. Also nicht nur das Bürgergeld, das Kindergeld oder das Wohngeld, sondern auch und vor allem die gesetzliche Rentenversicherung und die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Letzteres bedeutet, wer weiterhin kranken- oder pflegeversichert sein will, muss sich privat versichern. Er muss also aus den 1.500 Euro Grundeinkommen (das ist der aktuell zumeist geforderte Betrag) nicht nur wie bei der gesetzlichen KV den halben Beitrag zahlen (weil der Arbeitgeber die andere Hälfte trägt), sondern den vollen, der noch dazu bei privaten Versicherungen nicht nach Einkommen gestaffelt ist, also keine Rücksicht auf niedrige Einkommen nimmt. Da kommen also schnell 500 bis 600 Euro zusammen - allein für die Krankenversicherung. Gut möglich, dass etwa Kita-, Schul- oder Studiengebühren dazukommen, denn die Privatisierung des Bildungswesens ist ebenfalls eine wahrscheinliche Folge des BGE.


Warum muss das so sein? Um das zu verstehen, hilft ein kurzer Blick auf die wesentlichen Eckdaten. Allen rund 84 Mio. dauerhaften Einwohnern Deutschlands (da es bedingungslos sein soll, müssen es folgerichtig alle bekommen) ein monatliches Grundeinkommen von 1.500 Euro zu zahlen, kostet pro Jahr rund 1,5 Billionen Euro. Das sind 1.500 Milliarden Euro. Um die Dimension dieser Summe zu begreifen, ein paar Zahlen zum Vergleich: Unser gesamtes bisheriges Sozialsystem (also inklusive Renten-, Gesundheits- und Pflegesystem, inklusive aller Leistungen für Familien, Kinder und Jugendliche, für Menschen mit Behinderung u.a.m.) umfasst aktuell (2024) ca. 1,35 Bio. Euro (das sog. Sozialbudget), also 150 Mrd. weniger als allein das BGE kosten würde. Die Sozialquote, also der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 4,3 Bio. Euro (2024), beträgt aktuell 31,2%. Das BGE allein würde knapp 35% des BIP verschlingen, mehr als ein Drittel. Die Gesamtsumme aller Steuern, die 2024 von Bund, Ländern und Kommunen eingenommen wurden, betrug knapp 948 Mrd. Euro. Allein das BGE würde also das 1,5-fache aller derzeitigen Steuereinnahmen erfordern. So viel zur Behauptung vieler BGE-Befürworter, das BGE ließe sich einfach durch etwas höhere Steuern finanzieren.


Die Summe aller öffentlichen Ausgaben für Bildung in Deutschland (Bund, Länder und Kommunen) beträgt ca. 190 Mrd. Euro pro Jahr. Würde man also das gesamte derzeitige Sozialsystem abschaffen, das Gesundheits- und das Bildungswesen vollständig privatisieren, so hätte man gerade genug Geld freigesetzt, um das BGE zu finanzieren. Natürlich kann man fordern, die Steuereinnahmen des Staates (und damit auch die Sozialquote am BIP) zu erhöhen, und das wäre politisch auch wünschenswert. Aber dies in einem Umfang durchzusetzen, der erforderlich wäre, um neben dem BGE auch nur Teile unserer bisherigen öffentlichen Daseinsvorsorge zu erhalten, ist vollkommen unrealistisch.


Viele Befürworter werden an dieser Stelle einwenden, das stimme ja alles gar nicht, denn man wolle das BGE ja bloß als „negative Einkommenssteuer“ mit den Steuern verrechnen. Doch das ist Augenwischerei, denn wie auch immer man es konkret macht, ob als Auszahlung oder als Steuerermäßigung, es bleibt immer dabei, allen Menschen gleichermaßen einen Vorteil in gleicher Höhe zu gewähren, den sie sonst nicht hätten – das ist schließlich die Pointe des „bedingungslosen“ Grundeinkommens. Deshalb ist der finanzielle Aufwand für die Gesellschaft bzw. den Staat, unabhängig von der konkreten Variante, stets der gleiche: 1.500 Euro (oder welchen Betrag das BGE zu einem jeweiligen Zeitpunkt haben soll) mal 12 (Monate) mal 84 Mio. (oder wie viele Menschen jeweils dauerhaft in Deutschland leben).


Neben dieser gewaltigen Umverteilung materieller Ressourcen (die, anders als es die meisten Befürworter sich erhoffen, eine Umverteilung von unten nach oben wäre) hätte ein BGE noch weitere gravierende Auswirkungen, vor allem auf unsere Arbeitswelt. Auch diese sind, entgegen den schönen Visionen der BGE-Fans, überwiegend negativ, jedenfalls aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das muss ich aus Platzgründen an anderer Stelle ausführen, aber klar ist, auch diese Veränderungen lassen sich in dem am 12. Oktober zur Abstimmung stehenden Testprojekt nicht abbilden.


Eine „BGE-Welt“ wäre also eine völlig andere Welt als unsere jetzige. Ganz unabhängig davon, ob man sie für eine Verheißung oder eine Gefahr hält – in einem Test simulieren kann man sie nicht.

 
 
 

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