Wirklich sozialverträglich?
- klages3
- 22. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Die Initiatoren des „Hamburger Zukunftsentscheids“ trauen sich nicht, „sozialverträglich“ konkret zu machen. Ein Vorschlag für mehr Ehrlichkeit.
Keine Frage: Ein entschiedener, wirkungsvoller Klimaschutz ist bitter nötig, um unsere Welt auch für die nächsten Generationen lebenswert zu erhalten. Die Hamburger Koalition aus SPD und Grünen hat deshalb schon vor Jahren nicht nur ein Klimaschutzgesetz beschlossen mit der ambitionierten Zielvorgabe, Hamburg bis 2045 klimaneutral zu machen, was dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Weltklimaabkommens von 2015 entspricht. Sondern wir haben dazu auch – und das ist entscheidend – einen konkreten Klimaplan entworfen, der eine große Zahl konkreter Maßnahmen enthält, mit denen wir dieses Ziel schrittweise erreichen werden.

Daraus wird deutlich, dass schon das Ziel 2045 enorme Anstrengungen in allen relevanten Feldern verlangt: Der Energieerzeugung, der Industrie, dem Verkehr und der Gebäudeenergie, sprich dem Heizen. Dabei geht es nicht um kleine, graduelle Anpassungen, sondern oft um grundlegende Veränderungen; es geht, wie die Fachleute es nennen, um eine Transformation unserer Wirtschaft und Infrastruktur.
Schon beim Ziel 2045 stellt sich daher die Frage, welche Kosten das verursacht, und wer welchen Anteil dieser Kosten zu tragen hat. Werden wir diese Aufgabe gemeinsam und solidarisch bewältigen, indem die stärkeren Schultern die größeren Lasten übernehmen? Oder werden vor allem jene zusätzlich belastet, etwa über (noch) höhere Mieten, die sowieso wenig haben und bereits überproportional unter den Preissteigerungen der letzten Jahre leiden? Im Bund haben SPD und CDU mit dem großen 500-Milliarden-Sondervermögen die richtige Antwort gegeben: Der notwendige Umbau wird öffentlich über Investitionen vorangetrieben und über Kredite finanziert, die später aus Steuermitteln zurückbezahlt werden müssen. Solange unser Steuersystem zumindest halbwegs nach dem Prinzip „Starke Schultern tragen mehr“ funktioniert, ist das solidarisch und gerecht. Um es noch gerechter zu machen, fordern wir als SPD höhere Steuern auf sehr hohe Einkommen und Vermögen, Erbschaften und Kapitalgewinne.
Doch was bedeutet es, wenn wir in Hamburg nicht 2045 als Zeitpunkt der Klimaneutralität ansteuern, sondern bereits 2040, wie die Volksinitiative es will? Ein wissenschaftliches Gutachten im Auftrag der (grün geführten) Umweltbehörde hat es gerade sehr klar benannt: Es würde die Kosten und Belastungen in den kommenden Jahren in vielen Bereichen noch einmal deutlich erhöhen. Mehr noch: Das Gutachten warnt ausdrücklich vor einer „Zunahme sozialer Härten“.
Doch was sagen die Initiatoren des Volksentscheids dazu? Sie ahnen offenbar die Sprengkraft solcher Prognosen und betonen daher, dass die Klimaneutralität 2040 auf jeden Fall „sozialverträglich“ erreicht werden soll. Dabei ist die Anforderung der Sozialverträglichkeit bereits im jetzt gültigen Klimaschutzgesetz enthalten. Doch die Initiative will die entsprechende Passage umformulieren, um der Sozialverträglichkeit angeblich eine höhere Verbindlichkeit zu geben. Aus „sind (…) zu berücksichtigen“ soll „sind (…) umzusetzen“ werden.
Einmal davon abgesehen, ob dies wirklich eine höhere rechtliche Verbindlichkeit bedeutet (denn natürlich hat auch die bisherige Formulierung das Ziel, Sozialverträglichkeit verbindlich zu garantieren), stellt sich die Frage: Was ist dieses Versprechen wirklich wert? Denn was „sozialverträglich“ eigentlich konkret bedeuten soll, dazu sagt die Volksinitiative in ihrem Gesetzentwurf: nichts. Kein Wort. Auch sonst ist der Begriff der Sozialverträglichkeit sehr unbestimmt. Eine rechtliche Definition gibt es nicht. Wer (z.B. im Duden) nach einer sprachlichen Definition sucht, findet nur sehr vage Umschreibungen. Was „sozialverträglich“ heißt, bleibt also letztlich eine Frage der Meinungen. Dementsprechend vage und unverbindlich ist daher in Wahrheit das Sozial-Versprechen der Volksinitiative.
Sehr anschaulich wird das am öffentlichen Streit, den der Mieterverein als Unterstützer der Initiative einerseits, und der Verband der genossenschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungsunternehmen (VNW) andererseits über die drohenden Mieterhöhungen in den letzten Tagen ausgetragen haben. Während der VNW auf Basis wissenschaftlicher Gutachten vor Mietsteigerungen von drei bis viereinhalb Euro pro Quadratmeter als Folge der notwendigen vorgezogenen Sanierungen warnt, widerspricht der Mieterverein zwar rhetorisch scharf, in der Sache aber kaum: Er verweist lediglich auf die gesetzliche Obergrenze für Mieterhöhungen von drei Euro innerhalb von sechs Jahren. Aber sind „nur“ drei Euro pro Quadratmeter denn kein Problem, wäre das etwa „sozialverträglich“? Schon bei einer relativ kleinen Wohnung von 60 m2 wären das immerhin 180 Euro im Monat. Und ja, durch energetische Sanierungen sinken die Heizkosten – aber bei weitem nicht in gleichem Maße. Die Wahrheit ist doch: Nach den sowieso schon enormen Mietanstiegen der letzten Jahre würde das viele Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen endgültig überfordern. Statt „Sozialverträglichkeit“ wäre massive soziale Verdrängung die Folge.
Wie müsste ein beschleunigter Klimaschutz bis 2040 also aussehen, um wirklich sozialverträglich zu sein? Was müsste die Volksinitiative ehrlicherweise beinhalten, um das Sozial-Versprechen ernst zu meinen und konkret zu machen, anstatt es bloß als vage Werbe-Floskel zu benutzen?
Mein Vorschlag dazu lautet: Jede und jeder, die oder der beim Volksentscheid mit Ja stimmt, verpflichtet sich zugleich, beim Erfolg des Volksentscheids 100.000 Euro in einen Fonds zur sozialverträglichen Ausgestaltung der vorgezogenen Klimaneutralität einzuzahlen. Stimmen, sagen wir, 300.000 Leute mit Ja, kämen so 30 Milliarden Euro zusammen. Das wäre in etwa der Betrag, mit dem die drohenden Mietsteigerungen zumindest 15 Jahre lang kompensiert werden könnten.
Da es allen Umfragen nach eher Menschen mit höheren Einkommen sind, die sich für einen stärkeren Klimaschutz einsetzen und für den Volksentscheid stimmen werden, während die Menschen mit niedrigeren Einkommen eher die sozialen Folgekosten fürchten und daher mit Nein stimmen oder sich gar nicht erst an der Abstimmung beteiligen werden, würde diese Lösung also die Umverteilung von oben nach unten erreichen, die nötig ist, um den beschleunigten Klimaschutz solidarisch und sozial gerecht, also wirklich „sozialverträglich“ umzusetzen. Nur so könnte die Initiative ihr Versprechen, die immensen Folgekosten nicht auf den schwächeren Schultern abzuladen, wirklich einlösen. Nur so kann sie beweisen, dass sie es mit der Sozialverträglichkeit wirklich ernst meint.
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